Offene Web-Tools zum Lehren und Lernen:

Was sind die Vorteile von Webtools? Wie können Lehrende und Lernende Tools auswählen? Welche Tools eignen sich für kollaboratives Schreiben, für die Visualisierung von Zusammenhängen, das Erkunden oder für das Fragen sammeln? Offene Webtools und Unterrichtsideen für eine zeitgemäßen Bildung.

von

Nele Hirsch

Nele Hirsch, geb. 1980, arbeitet freiberuflich in dem von ihr gegründeten eBildungslabor, einer Initiative zur Unterstützung zeitgemäßer Bildung in Schule, Hochschule, Erwachsenenbildung und Zivilgesellschaft.

und

Jöran Muuß-Merholz

Jöran Muuß-Merholz, geb. 1976 ist Diplom-Pädagoge mit Schwerpunkt auf Innovationen im Bereich Lernen und Medien. Er ist Gründer der Agentur »J&K – Jöran und Konsorten«, die an den Schnittstellen zwischen Bildung & Lernen und Medien & Kommunikation tätig ist.

Einleitung

Der folgende Beitrag beleuchtet das Lehren und Lernen mit offenen Web-Tools. Exemplarisch stellen wir mehrere offene Web-Tools vor. Der Fokus der Darstellung liegt dabei auf ihren didaktischen Potenzialen in Hinblick auf die Kompetenzentwicklung im Rahmen einer zeitgemäßen Bildung. Grundlegend sind für uns hierzu die sogenannten 4K Kompetenzen: Kollaboration, Kreativität, kritisches Denken und Kommunikation.

Inhalt

Was sind offene Web-Tools und welche Vorteile haben sie?

Aus einer technischen Perspektive lässt sich recht schnell erklären, um was es sich bei einem offenen Web-Tool handelt: Es ist Software, die nicht als App auf einem mobilen Gerät oder als Programm auf einem Desktop Rechner installiert wird, sondern über das Internet im Browser aufgerufen und dort genutzt wird. Der Zusatz der Offenheit macht deutlich, dass diese Nutzung ohne oder mit nur niedrigen Zugangshürden möglich ist.

Daraus ergeben sich mehrere Vorteile eines offenen Web-Tools für das Lehren und Lernen: Erstens kann es ohne längere Vorbereitungszeit und insbesondere ohne Installation oder Registrierung direkt eingesetzt werden. Zweitens wird an technischer Infrastruktur nur WLAN und ein internetfähiges Gerät benötigt. Es ist egal, welches Betriebssystem darauf installiert ist. Und drittens muss nur ein Link geteilt werden, damit Lernende das Tool nutzen können.

Aus einer pädagogischen Perspektive können offene Web-Tools aber noch deutlich mehr. Denn Offenheit steht dann nicht nur für fehlende Zugangshürden, sondern vor allem für Offenheit in Hinblick auf die Didaktik. Offene Web-Tools sind dann die Tools, die eine offene Bildungspraxis unterstützen. Man könnte sie – in Anlehnung an offen lizenzierte Bildungsmaterialien – auch als Open Educational Tools bezeichnen.

Zu Open Educational Resources (OER) und offenen Bildungspraktiken schreibt das Bündnis Freie Bildung in seinem im Jahr 2018 veröffentlichten Positionspapier: »OER sind Katalysatoren zeitgemäßer Bildung, sie erlauben digitale Kollaboration und ko-konstruktives Handeln auf Augenhöhe. Sie ermöglichen selbstbestimmtes und demokratisches Lernen und öffnen den Zugang zu Bildung. Zudem fördern sie eine kritische Reflexion zu Medien und deren Nutzung.«

Was in diesem Absatz für OER beschrieben wird, gilt ebenso für offene Web-Tools. Sie ermöglichen wichtige Prinzipien einer zeitgemäßen Bildung. Dazu gehört insbesondere die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit anderen, zu aktivem Gestalten und zu Veröffentlichungen im Prozess. Darüber hinaus bieten offene Web-Tools Lehrenden und Lernenden die Möglichkeit, eine Kultur der Digitalität und den virtuellen Raum als selbstverständlichen Bestandteil in und für Lernprozesse zu nutzen und auf diese Weise digitale Souveränität zu entwickeln.

Wie können Lehrende und Lernende Tools auswählen?

Bei der Auswahl eines offenen Web-Tools sind zunächst – wie auch bei der Definition – technische Kriterien grundlegend. Die erste Frage lautet: Können Lehrende und Lernende das Tool im Browser nutzen? Daran schließt sich die Frage nach der Offenheit an: Wie offen können Lehrende und Lernende das Tool nutzen? Während die Antwort auf die erste Frage recht eindeutig ist, ist der Spielraum bei der zweiten Frage größer. Denn Offenheit kann enger oder weiter gefasst werden. Entscheidend sind möglichst niedrige Zugangshürden, die sich beispielsweise daran zeigen können, dass man sich für die Nutzung des Tools nicht registrieren und individuell nichts dafür bezahlen muss. Weiter gefasst wird Offenheit, wenn sich Lehrende beispielsweise registrieren müssen, aber dann mithilfe des Tools offene Online-Lernumgebungen für Lernende einrichten können. Nach einer sehr weit gefassten Definition kommt noch das Modell hinzu, in dem eine Lehrperson oder ihre Institution für die Nutzung bezahlt, und die Lernenden es kostenlos nutzen können. 

Wie oben dargestellt geht es bei offenen Web-Tools nicht nur um technische Fragen, sondern vor allem um didaktische Offenheit. Bei der Auswahl eines Tools kann auch hier der Bezug zu OER helfen. Denn gute Web-Tools sind insbesondere solche, die eine Weiternutzung der mit ihnen erstellten Inhalte umfassend erlauben. Anders ausgedrückt: Sie sind OER-kompatibel. Vor diesem Hintergrund sollten bei einem offenen Web-Tool insbesondere drei Kriterien gegeben sein: Souveränität über die Inhalte, einfaches Teilen und die Möglichkeit zu Remix. 

Souveränität bedeutet, dass Nutzende die Hoheit über die von ihnen erstellten Inhalte behalten. Viele (kostenfreie) Tools im Internet finanzieren sich allerdings auch über weitgehende Rechte-Abtretungen bei erstellten Inhalte. Souveränität über die Inhalte ist dann nicht gegeben. Bei einem offenen Web-Tool im hier definierten Sinne gehört einem dagegen selbst, was man erstellt hat.

Mit Teilen ist gemeint, dass erstellte Inhalte leicht mit anderen geteilt werden können. Ein offenes Web-Tool sollte hierzu entweder über eine Exportfunktion in ein möglichst gut und vielfältig weiter nutzbares Format verfügen und/ oder eine einfache Möglichkeit bieten, um erstellte Inhalte zu veröffentlichen und dann als Link zu teilen. Eine gute Option ist es auch, einen erstellten Inhalt eines Web-Tools über einen iFrame in andere Webseiten einbinden zu können. (Dieses »Einbetten« genannte Vorgehen ist insbesondere durch YouTube-Videos sehr verbreitet und bekannt geworden.)

Eng damit zusammenhängend ist das dritte Kriterium des Remixes. Als Remix wird die Aktivität bezeichnet, aus einem oder mehreren bestehenden Inhalten etwas Neues/ Anderes zu gestalten. Personen, die im Sinne des ersten Kriteriums die Souveränität über die von ihnen erstellten Inhalte haben, entscheiden dabei selbst darüber, ob und in welcher Form sie Remix erlauben wollen. Die Möglichkeit zu Remix ist eines der zentralen Potenziale einer offenen Bildungspraxis – und muss sich somit auch in einem offenen Web-Tool wiederfinden. Entscheidend ist dabei nicht nur die Frage, ob das Tool offene Formate unterstützt. Vor allem muss Benutzerfreundlichkeit und praktische Bedienbarkeit gegeben sein. Perfekt gelöst ist diese Herausforderung zum Beispiel beim offenen Web-Tool Glitch, das wir weiter unten noch näher kennenlernen werden. Jede erstellte Anwendung verfügt hier über einen »Remix-Button«, mithilfe dessen man sich die gesamte Anwendung kopieren und dann direkt weiterbearbeiten kann.

Neben Souveränität über die Inhalte, dem einfachen Teilen und der Möglichkeit zum Remix können je nach spezifischer Lernsituation weitere Kriterien dazu kommen: Sehr häufig wird bei offenen Bildungspraktiken zum Beispiel gemeinsam mit anderen etwas entwickelt. Die gesuchten Web-Tools benötigen somit kollaborative Funktionen.

Wie ist das mit dem Datenschutz?

Bei offenen Web-Tools, die ohne Registrierung genutzt werden können, liegt der Trugschluss nahe, dass diese quasi automatisch datenschutzkonform seien. Denn wenn Lehrende und Lernende keine persönlichen Daten eingeben müssen, dann seien diese ja auch gar nicht in Gefahr. Leider ist es mit dem Datenschutz bei offenen Web-Tools aber nicht so einfach. Das liegt daran, dass auch ohne Registrierung Daten erhoben werden. Zum einen werden Aktivitäten und Ergebnisse aufgezeichnet. Zum anderen können Tracking-Profile angelegt werden.

Beides ist zunächst einmal nicht verwerflich, sondern für die Nutzung eines offenen Web-Tools zum Teil sogar unbedingt erforderlich. Denn Lehrende und Lernende wollen ja, dass ihre Aktivitäten gespeichert werden, sodass sie darauf zugreifen und sie selbst und andere sie nutzen oder weiterbearbeiten können. Auch kann es zum Teil hilfreich sein, wenn ein Tool einen vorherigen Arbeitsstand speichert und die nutzende Person genau an die Stelle führt, an der sie zuletzt aufgehört hat. Problematisch wird es vor dem Hintergrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen dagegen dann, wenn eingegebene Inhalte an Dritte weitergegeben und verkauft werden oder wenn das Tool Tracking-Software verwendet, um Persönlichkeitsprofile anzulegen und mit persönlichen Aktivitäten (zum Beispiel in sozialen Netzwerken) zu verknüpfen.

Die Frage ist also weniger: Werden Daten erhoben und genutzt? Sondern: Wie und von wem werden welche Daten genutzt? Um diese Frage zu beantworten, ist der leider etwas mühsame, aber notwendige Weg das Lesen der jeweiligen Datenschutzbestimmungen.

Die gute Nachricht ist, dass mit der Auswahl eines offenen Web-Tools nach den oben skizzierten Kriterien der Souveränität, des Teilens und der Möglichkeit zu Remix die meisten sehr datenschutzrechtlich bedenklichen Tools ohnehin bereits aussortiert sind. Denn umfassende Rechte-Abtretungen gehen oft mit der Weitergabe der Inhalte an Dritte Hand in Hand. Auch setzt gewünschtes Tracking häufig voraus, dass die erstellten Inhalte im Rahmen des jeweiligen Tools weiterverwendet werden, weshalb in diesem Fall häufig keine oder nur eine eingeschränkte Exportmöglichkeit angeboten wird. Und insbesondere eine Weiterbearbeitung in einer anderen Benutzeroberfläche wird in diesen Fällen nicht ermöglicht.

Grundsätzlich plädieren wir dafür, Datenschutz im Bildungskontext nicht isoliert zu betrachten. Denn beispielsweise Tracking im Netz ist weit über die Nutzung von Web-Tools zum Lehren und Lernen hinaus Realität. Es findet statt, wenn eine Person auf einer Website den Wetterbericht checkt oder nach Informationen zum aktuellen Kinofilm recherchiert. Aufklärung darüber, das Aufzeigen von Alternativen sowie die Unterstützung bei der Entwicklung von Datensouveränität sind deshalb wichtige inhaltliche Bestandteile einer zeitgemäßen Bildung. Die Nutzung offener Web-Tools kann dazu willkommene Lernanlässe bieten. Je älter Lernende sind, desto mehr sollten sie herausgefordert werden, selbst zu entscheiden, mit welcher Datenweitergabe sie einverstanden sind und mit welcher nicht. In der Schule können hierzu wichtige Vorbereitungen getroffen werden, indem Lernende unterschiedliche Tools kennenlernen und verstehen, wie sie funktionieren und was mit eingegebenen Daten passiert.

Bei der Vorstellung von offenen Web-Tools im folgenden Kapitel haben wir insbesondere Tools ausgewählt, die Open Source sind. Open Source bedeutet, dass ihr Quellcode offen zur Weiternutzung zur Verfügung steht. Auf diese Weise ist nicht nur Transparenz darüber gegeben, was genau ein Tool speichert. Vor allem besteht immer auch die Möglichkeit, sich das Tool selbst auf einem Server zu installieren – und damit selbst entscheiden zu können, wer Zugriff auf welche Daten hat.

Welche Tools können wie zum Lehren und Lernen verwendet werden?

In den vorherigen Abschnitten haben wir beschrieben, was offene Web-Tools sind und warum und wie sie zeitgemäße Bildung unterstützen können. Nun geht es um praktische Beispiele und Veranschaulichungen. Die ausgewählten und vorgestellten Tools sind als Beispiele und als erste Inspiration gedacht. Die Liste ist nicht abschließend zu verstehen. Wir wollen ausdrücklich dazu ermutigen, sich selbst auf die Suche zu machen und mit weiteren Tools zu experimentieren. Bewusst gliedern wir nicht nach Tools, sondern nach Methoden bzw. Funktionalitäten zum Lehren und Lernen.

Dieser Beitrag ist freigegeben unter der Lizenz CC BY-SA 4.0 Jöran Muuß-Merholz, Nele Hirsch, im Auftrag von IQES online