Lernen und KI_Teaser

Lernen und Künstliche Intelligenz

Fünf Dimensionen für den Unterricht: Lernen über, mit, durch, trotz und ohne KI. Ein schriftliches Gespräch zwischen Joscha Falck und Dr. Patrick Bronner
Joscha Falck

Joscha Falck

Joscha Falck ist Mittelschullehrer und Schulentwicklungsmoderator in Mittelfranken. Darüber hinaus ist er als Fortbildner, Referent und Autor tätig. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind: Digitale Medien, Schul- und Unterrichtsentwicklung, Didaktik des digital gestützten Unterrichtens, Künstliche Intelligenz in der Schule. Kontakt: www.joschafalck.de

Die Diskussion um künstliche Intelligenz in der Schule wird ebenso dynamisch geführt, wie technische Innovationen die Möglichkeiten von Software ständig neu definieren. Dieses Tempo ist für Lehrkräfte nur bedingt mitzugehen, insbesondere, wenn neben dem Bedienen bestimmter Tools auch noch entsprechend nachgedacht werden soll. Bei genauerem Hinsehen erscheint es deshalb ratsam, dieses Hamsterrad zu verlassen und den Bildungsauftrag zu umreißen, der sich aus der Verfügbarkeit von KI-Tools ergibt.

Lernen über, mit, durch, trotz und ohne KI

Im Sinne eines zu entwickelnden Curriculums geht es jenseits von Spielerei und Hype darum, Lerngelegenheiten übermit und durch KI zu initiieren – um Schüler*innen bestmöglich beim Lernen zu begleiten und sie beim Aufbau von Medienkompetenz in einer KI-geprägten Welt zu unterstützen. Unterricht benötigt aber auch Lerngelegenheiten trotz und ohne KI, mit denen wir die Grenzen der Maschinen markieren und Bildungsprozesse weiterhin aktiv und eigenverantwortlich gestalten.

Im Beitrag »Künstliche Intelligenz in der Schule – Reflexionen zwischen Faszination und Überforderung« habe ich diese fünf Dimensionen grafisch zusammengefasst. Sicher sind nicht alle Aspekte dieser Einteilung zu 100 % trennscharf. Dennoch kann die Unterscheidung verschiedener Blickrichtungen helfen, das Thema KI in Fortbildungen und im eigenen Kollegium konstruktiv anzugehen.

Die »Blüten« ausleuchten

Direkt nach der Veröffentlichung meldete sich der Gymnasiallehrer und Fortbildner Patrick Bronner bei mir und regte er an, die fünf »Blüten« für Schule und Unterricht noch weiter zu konkretisieren. Daraus entstand die Idee, dieses »Ausleuchten« gemeinsam anzugehen – aus der Perspektive zweier Lehrer, die sich an verschiedenen Schularten um innovativen Unterricht bemühen und in der Lehrkräfte-Fortbildung möglichst viele Kolleg*innen hinter neuen Ansätzen versammeln möchten.

JF: Lieber Patrick, ich danke dir für deine Anregung und freue mich auf unser Gespräch. An welcher Stelle wollen wir beginnen?

PB: Wie wäre es im Uhrzeigersinn? Starten wir ganz links mit der Blüte »Lernen trotz KI«.

Lernen trotz KI

PB: Warum sollen Schüler*innen überhaupt noch lernen, was die Maschine besser und schneller kann? Wie können wir Schüler*innen zum Lernen motivieren, wenn jeder in Echtzeit mit einem KI-Tool eine hochwertige Lösung der im Unterricht erstellten Aufgabe erzeugen kann?

Diese Fragen wurden mir in ähnlicher Weise auch von Schüler*innen im Unterricht gestellt. Meine erste unbeholfene Antwort war: »Weil das Thema auch in der nächsten Klassenarbeit vorkommt und du keine Hilfsmittel zur Lösung verwenden darfst«. Meine zweite Antwort war: »Was für ein typisches Lehrerargument«. Hier habe ich demotivierend und in der Logik extrinsischer Motivation argumentiert. Wir müssen das Gegenteil bewirken und die Schüler*innen zu dieser Frage intrinsisch motivieren: Das Erleben von Kompetenz beim Lernen, das Gefühl der sozialen Einbindung in die Klassengemeinschaft und das Streben nach Autonomie und Selbstbestimmung ohne Abhängigkeit von einer Maschine.

Diese Aspekte können vor allem durch offene, forschende & projektartige Arbeitsaufträge in Partner- und Gruppenarbeiten gefördert werden. Das dabei entstehende Lernprodukt sollte auch vielfältige digitale Formate wie Erklärvideos, Podcasts oder Infografiken enthalten.

Zur Erarbeitung solcher Lernprodukte kann KI eingesetzt werden – am Ende kommt es aber vor allem auf Kompetenzen wie Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken an. Die »21st Century Skills« sind im Arbeitsleben kaum durch KI zu ersetzen. Im Rahmen der Projektmethode erfahren die Lernenden ein hohes Maß an Handlungsorientierung, Selbstwirksamkeit, sozialer Eingebundenheit und Autonomie. Die Verknüpfung digitaler Medien mit offenen und forschenden Aufgabenstellungen leistet zugleich einen wichtigen Beitrag zur Differenzierung und fördert prozessbezogene Kompetenzen.

Jetzt aber wieder zurück zur konkreten Stunde und der Frage der Schüler*innen nach dem »Warum noch Lernen«. Für mögliche Antworten habe ich schließlich die Grafik von Beat Döbeli-Honegger verwendet, sie von den Lernenden ankreuzen lassen und anschließend diskutiert.

JF: Mir gehen dazu zwei Aspekte durch den Kopf: Zum einen denke ich, dass Lernende schon immer wissen wollten, warum sie diese oder jene Aufgabe bearbeiten bzw. bestimmte Inhalte lernen müssen. Die Notwendigkeit, darauf eine Antwort jenseits bevorstehender Prüfungen zu haben, ist also nicht neu. Mit KI wird es aber dringlicher, weitreichender und fundamentaler – bis hin zu ganz basalen Bereichen des Lesens und des Schreibens, die einem abgenommen werden können.

Zum anderen klingt bei dir an, dass Lernen in den beschriebenen Formaten (Projekte, kreative Lernprodukte, offene Formen etc.) für Schüler*innen anspruchsvoller und für Lehrkräfte in der Vorbereitung komplexer wird. Dazu würde ich gerne auf den zweiten Bereich übergehen: Lernen mit KI.

Lernen mit KI

JF: Du hast angedeutet, dass KI als Werkzeug benutzt und in kompetenzartigen Settings eine Hilfe werden kann. Ich habe meinen Schüler*innen hierzu GPTSchule (mittlerweile SchulKI) und an anderer Stelle die KI-Tools von fobizz zur Verfügung gestellt und folgende Erfahrung gemacht: Aus der Intuition heraus benutzten meine Schüler*innen die KI erst einmal wie eine Suchmaschine und waren teilweise frustriert, weil dann lange Textantworten zu lesen waren. Zudem war es eine Herausforderung, die Eingaben so zu formulieren, dass brauchbare Ergebnisse generiert wurden. Wir haben das dann problematisiert, das Nutzungsspektrum (vorerst) eingegrenzt und zum entsprechenden Arbeitsauftrag (es ging hier um die Erstellung von Concept Maps im Geografie-Unterricht) geübt. Das hatte aber mehr experimentierenden Charakter und braucht sicher noch einige Zeit, bis die entsprechende Prompt-Kompetenz aufgebaut ist. Hier gibt es also für alle Beteiligten noch eine Menge zu lernen. Welche Erfahrungen machst du damit? Gelingt es dir schon, KI nicht bloß als Spielerei, sondern als Werkzeug in kompetenzorientierten Aufgaben zum Einsatz zu bringen?

PB: Beim ersten Unterrichtseinsatz von KI-Tools dürfen meine Schüler*innen spielen. Es geht um die Magie des ersten Moments – über den datenschutzkonformen Zugang von fobizz. Dabei frage ich die Lernenden, ob sie die KI duzen oder siezen, ob sie ihr einen Namen geben. 

Bei den ersten konkreten Aufgaben mit ChatGPT, z. B. im Physikunterricht, haben wir gemeinsam festgestellt, dass der sinnvolle und zeiteffiziente Einsatz ein hohes kognitives Niveau erfordert: Die Lernenden müssen vor der Texteingabe genau wissen, welche Inhalte und welche Form die Textausgabe enthalten soll. Der Prompt muss daher sprachlich präzise und logisch formuliert sein.


Und die Antwort von ChatGPT? Was da steht, muss nicht stimmen! Diese Tatsache ist für das Lernen einfach großartig. Die Antwort von ChatGPT muss von den Schüler*innen fachlich bewertet werden können – dazu gehört ein fundiertes fachliches Wissen. Je gründlicher die Schüler*innen bei der Formulierung des Prompts nachdenken und je tiefer das auf Seiten der Lernenden vorhandene fachliche Wissen zur Bewertung der Textausgabe eingesetzt wird, desto besser kann KI Unterstützung für den eigenen Lernprozess bieten.

Die Frage ist aber, ob wir die Prompt-Kompetenz überhaupt intensiv trainieren müssen. Im Moment arbeiten wir mit ChatGPT 3.5 bzw. 4.0, das noch Prompts benötigt. Aber in einem halben Jahr kommt die nächste Version mit Autoprompting. Dann muss ich nur noch ein paar Stichworte eingeben und die Maschine gibt mir die richtige Frage. 

In den Naturwissenschaften zeigt der Einsatz von ChatGPT, wie anspruchsvoll die Antworten der KI in ihrer reinen Textform tatsächlich sind. Bei einer Internetrecherche habe ich sofort ein Bild oder eine Skizze als Ergebnis und kann auch sehr schnell ein Erklärvideo zum Thema anklicken. Mit ChatGPT wird das Textverständnis auch in den Naturwissenschaften fast zwangsläufig gefördert.

JF: Das heißt: Wissen und sprachliche Fähigkeiten sind die Grundlage effizienter KI-Nutzung. Und die Grundlage der Urteilskraft, die es braucht, um nützliche von problematischen Ergebnissen zu unterscheiden. Die Verfügbarkeit von KI-Tools erhöht also die Anforderungen an Schule (und andere Bildungseinrichtungen) – nicht nur aus der Perspektive der Bedien-Kompetenzen, sondern auch hinsichtlich der gestiegenen Anforderungen an Medienkompetenz. Die Idee, nichts mehr wissen zu müssen, ist damit enttarnt.

Lernen über KI

PB: Dies führt uns zum Thema Lernen über KI. Ohne zu wissen, wie die Maschine funktioniert, ist es schwierig, die Ergebnisse, die der Prompt liefert, einzuordnen. Jeder Benutzer sollte ein Grundwissen über die Blackbox ChatGPT (stellvertretend für andere Large Language Modells) haben. Es ist wichtig zu unterscheiden, dass ChatGPT ein Sprachmodell und kein Wissensmodell ist.

Braucht man als Lehrer*in ein Informatikstudium, um die Grundlagen zu erklären? Auf keinen Fall! Ich habe es meinen Schüler*innen am Beispiel des Satzes »Ich packe mein X!« erklärt. Wie könnte der Satz mit dem X weitergehen? Wir Menschen nutzen unsere sprachliche Intuition – ChatGPT nutzt die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Aus Millionen von Texten wurde ermittelt, wie wahrscheinlich folgende Wort folgt: »X = Hut (4 %), Koffer (80 %), Tasche (15 %), …«.  Und die Mathematik sagt »Koffer«. Das KI-System ist also weder intelligent noch kreativ, sondern nur mathematisch geschickt. Dies führt zu dem plastischen Bild des »stochastischen Papageis« (Bender 2021).  ChatGPT ist somit eine Maschine, die nur das wiederholt, was am wahrscheinlichsten auf einen vorhergehenden Satz folgt. Das Besondere ist aber, dass dieser Papagei hochbegabt ist und nicht immer das Gleiche wiederholt, sondern seine Antworten immer wieder neu generiert und zusammensetzt. Und anhand der Datenbasis kann man dann auch erklären, warum das System rassistisch ist, Stereotype und Fake-News verbreitet.

Reicht eine solche Erklärung für das Grundverständnis oder springt mir jetzt jede Informatiklehrkraft an die Gurgel?

JF: Das kommt wohl auch auf die Schulart und das jeweilige Fach an. Innerhalb des Informatik-Unterrichts in der Sekundarstufe macht es sicher Sinn, die Funktionsweise dieser Wahrscheinlichkeitsrechner genauer zu ergründen. In der Grundschule und auch in der Anwendung in anderen Fächern ist ein Grundverständnis sicher ausreichend. Wir haben ChatGPT in den ersten Monaten alles Mögliche gefragt und darüber diskutiert, wie welche Antworten entstehen könnten. Nachvollziehbar(er) wurde die Blackbox für meine Schüler*innen und mich dann, wenn Antworten phantasiert wurden (das sog. Halluzinieren), wenn keine Antwort möglich war (»Ich bin ein trainiertes Sprachmodell …«) oder wenn ethische Regeln berührt werden (»keine Ratschläge zu illegalen oder unmoralischen Aktivitäten«). Dazu zählen auch die Fehler, von denen du gesprochen hast. Durch sie merkt man einerseits, wo die Grenzen der Maschinen liegen. Andererseits versteht man aber auch besser, wie die inhaltslose (oder besser wahrheitslose) Aneinanderreihung von Silben vonstattengeht.

Für das kommende Schuljahr schwebt mir eine umfangreichere Sequenz vor, in der ich die Funktionsweise von KI mit speziellen Tools erkunden möchte. Hierzu gibt es mit QuickDraw ein Zeichentool, mit dem der Aufbau neuronaler Netze nachvollzogen werden kann und mit SoekiaGPT eine Lernumgebung, mit der man verstehen kann, wie Texte entstehen. Zudem interessiert mich als Politik-Lehrer, wie dem Thema gesellschaftlich begegnet wird. Neben den Ansätzen politischer Regulierung (z. B. innerhalb der EU) erleben wir ja von dystopischen Horrorszenarien (künstliche Intelligenz entzieht sich menschlicher Kontrolle) bis zur utopischen Erlösungsphantasie (KI als Instrument im Klimaschutz) alles Mögliche. Hinzu kommen verschiedenste Aspekte rund um Fake News, die Veränderungen innerhalb verschiedenster Berufsbilder bis hin zu der Frage, was es eigentlich mit einer Demokratie macht, wenn Abgeordnete ihre Reden und/oder vielleicht sogar Bürger*innen-Anfragen von der Künstlichen Intelligenz schreiben lassen.

Darüber hinaus finde ich auch den Vergleich der KI-Tools spannend: In der Arbeit mit Bing Chat (mittlerweile Copilot) und Microsoft Compose erhalte ich andere Ergebnisse als mit ChatGPT oder den Tools von fobizz. Ähnlich verhält es sich, wenn ich unterschiedliche Bildgeneratoren nebeneinander benutze. Wichtig erscheint mir hierzu, Workflows zu erproben, wann mir welches Tools am besten helfen kann, welche Prompts wie formuliert sein müssen und wie ich dann mit den Ergebnissen am sinnvollsten weiterarbeiten kann.

PB: Der Vergleich von KI-Tools ist eine gute Idee! Das ist bereits jetzt schon im Unterricht datenschutzkonform z. B. über den fobizz-Zugang möglich. Im Text-Tool kann ich unter Einstellungen wählen, welches Sprachmodell (ChatGPT 3.5, dem deutschen Aleph Alpha oder OpenSource) und welchen Konversationsstil (Kreativ, Balanciert oder Präzise) ich nutzen möchte. Im Bild-Tool habe ich die Wahl zwischen den Generatoren DALL.E 2 und Stable Diffusion.

Lernen durch KI

JF: Unabhängig dieser aktiven KI-Nutzung erwarte ich, dass wir zukünftig verstärkt mit Künstlichen Intelligenzen in adaptiven Lern- und Tutorsystemen arbeiten werden. Lernen durch KI bedeutet dann, in der Arbeit mit Lernsoftware durch Feedback, Korrektur und individuelle Vorschläge unterstützt zu werden. Der Quantensprung ist dann erreicht, wenn die KI passgenaue Übungen für mich als Lernenden generiert, zuweist und wieder korrigiert, ohne dass diese von einer Lehrkraft ausgewählt werden müssen. Das ist die Utopie der Individualisierung, an der wir ohne KI in der Schule – vor allem aufgrund der Personalsituation – scheitern. Ich überblicke hierzu sicher nicht alles, was es in diesem Bereich schon gibt, aber SmartResponse von Westermann (interaktive Übungen in Englisch) dürfte z. B. in diese Richtung weisen. Und auch mit ChatGPT gibt es ja bereits erste Ansätze, wie Tutorsysteme mit Mega-Prompts (mehrstufige Anweisungen) vorbereitet werden können – auch wenn diese noch oft »aus der Rolle fallen«. Auf jeden Fall scheint es mir keine überzogene Erwartung sein, dass KI-Assistenzsysteme irgendwann in jeder Lernsoftware zu finden sein werden, wenn man die Anschlussfähigkeit der GPT-Modelle in die Zukunft projiziert.

PB: Ich sehe beim Lernen durch KI ebenfalls ein enormes Potenzial. Gerade PEER von der TU München, das datenschutzkonform ist, kann Deutschlehrer*innen enorm entlasten. Als Mathematiklehrer gehören für mich unbenotete Mathetests zur Lernprozessdiagnose über eine digitale Lernplattform zum Standard im Unterricht. Früher haben meine Kolleginnen und Kollegen gesagt: »Wenn es das doch auch für Deutsch gäbe!« Jetzt gibt es das – und es muss einfach genutzt werden. Sowohl die Lernenden als auch die Lehrenden können einen Aufsatz ohne persönliche Daten in das System PEER der Technischen Universität München eingeben und erhalten sofort ein personalisiertes Feedback mit Verbesserungsvorschlägen.

Darüber hinaus verfügt ChatGPT über Förder- und Diagnoseelemente, die bemerkenswert sind. Auch die erste Mathematikplattform eines Schulbuchverlags nutzt neuerdings KI: Es wird analysiert, auf welchem Niveau sich der Lernende befindet, und abhängig davon werden ihm Übungen digital zugewiesen, die sein Niveau steigern sollen. Diese Möglichkeiten möchte ich im Unterricht nicht mehr missen.

Auch interessant sind KI-Lernhelfer wie Khanmigo, die einem nicht die fertige Lösung anbieten, sondern bei den Lösungsschritten helfen. Das ist die Zukunft. Es wäre toll, wenn wir so etwas mit einem datenschutzkonformen deutschen System hinbekämen, auf das alle Schülerinnen und Schüler Zugriff hätten. Das wäre Chancen- und Bildungsgerechtigkeit.

JF: Richtig, auch wenn ich mit der Vorfreude zurückhaltend bin. Die Tatsache, dass es die technischen Möglichkeiten gibt, ist ja nicht gleichzusetzen damit, dass es auch in der Breite der Schullandschaft genutzt wird. Ganz zu schweigen davon, dass daraus (messbar) mehr Bildungsgerechtigkeit entsteht. Der Gap zwischen Schulen, die noch immer kein WLAN haben und denen, die individuelle Tutorsysteme in digitalen Lernumgebungen alltäglich gemacht haben, ist einfach immens. Zudem ist es für mich von essenzieller Bedeutung, all diese Experimente kritisch zu begleiten. Ausprobieren ist in der jetzigen Phase in Ordnung und auch notwendig. Mittelfristig werden Aufgabenstellungen, Lernarrangements und KI-gestützte Tutorsyteme hinsichtlich messbarer Lernfortschritte wissenschaftlichen Untersuchungen standhalten müssen. Vorerst geht es jetzt vor allem um das Umreißen von Chancen und Potenzialen, um das Ausloten von Möglichkeiten zur Verbesserung von Lernprozessen und letztlich dann auch um die Entlastung von Lehrkräften.

Und dann kommt ja noch etwas dazu: Ich kann durchaus verstehen, dass derartige Zukunftsszenarien bei manchen Kolleg*innen Unwohlsein erzeugen und Skeptiker*innen befürchten lassen, dass Kinder irgendwann in der Schule nur noch KI-gestützte und individuelle Lernpläne abarbeiten. Und auch mich lassen die technischen Potenziale immer wieder darüber nachdenken, ob wir in der Schule nicht auch Räume ohne Datenverarbeitung und Bildschirme schaffen (sicherstellen?) müssen. Räume, die authentische Lernsituationen erlebbar machen (und nicht nur simulieren) und in der Interaktion, der Kooperation, in der Bewegung, im Theater und im Spiel ganz bewusst das betonen, was uns menschlich macht. Was denkst du darüber? Teilst du den Gedanken, dass es jetzt und zukünftig noch mehr ein bewusstes Lernen ohne KI benötigt?

Lernen ohne KI

PB: Da bin ich ganz bei Dir! Das Bildungsziel der Schule ist auch im digitalen Zeitalter die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler*innen zu selbstständigen, kritikfähigen, wertebewussten, verantwortungsvollen und ebenso medienmündigen jungen Menschen. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es Angebote jenseits des schulischen Fächerkanons wie z. B. Erlebnispädagogik, Musicalprojekte, Sportevents, Theateraufführungen und philosophische Gesprächsabende. Wir sollten in der Schule auch die Möglichkeit bieten, Kompetenzen ohne direkten Zugang zu einem digitalen Endgerät zu erwerben und zu erleben – nicht extrinsisch motiviert, dass eine Klausur ohne Hilfsmittel bevorsteht, sondern intrinsisch.

JF: Intrinsische Motivation entsteht ja dann, wenn ich in etwas einen Sinn sehe – für mich persönlich, zur individuellen Entfaltung, zur Welterschließung und zu Erreichung meiner Ziele. Mehr denn je wird es unsere Aufgabe sein, diesen Sinn zu vermitteln und Räume zu schaffen, die diese Persönlichkeitsentwicklung zulassen. Ich meine (und hoffe), dass die Verfügbarkeit von KI-Tools uns alle in Schulen mehr darüber reden lässt, was Bildung im 21. Jahrhundert eigentlich bedeutet. Und dass als Folge dieser Gespräche eine andere Lernkultur entstehen kann – einerseits im Bereich des digitalen Arbeitens, andererseits aber auch in Formaten, in denen sich Schüler*innen eigenen Themen widmen und sich ausprobieren können.

Eine einfache Möglichkeit, solche Räume im »alten« System (Fächer, 45-Minuten, geschlossener Klassenverband etc.) zu schaffen, ist die Einführung des sogenannten FREI DAY, bei dem Lernende mindestens vier Stunden pro Woche Zeit bekommen, um innerhalb der Klammer der BNE-Ziele eigene Themen zu bearbeiten. Bei diesem Format geht es darum, Schüler*innen die Möglichkeit zum Handeln zu geben, z.B. in Form von Projekten oder Kooperationen in und außerhalb der Schule. Der FREI DAY schließt digitales Arbeiten nicht aus (im Gegenteil, beides lässt sich perfekt kombinieren), verschiebt den Fokus aber dennoch in Richtung eines aktiven und projektartigen Arbeitens. Als ich Margret Rasfeld, die Erfinderin des FREI DAY, unlängst gehört habe, sagte sie: »Wie lernst du zu handeln? Bestimmt nicht, indem du in der Schule sitzt und Blätter ausfüllst«. Das umreißt meiner Meinung nach gut, worum es geht. Blätter ausfüllen oder interaktive und KI-gestützte Übungen zu bearbeiten, entspringt derselben Logik. Freilich hat das seine Berechtigung in der Schule und ist zum Beispiel für das individuelle Üben unerlässlich. Dennoch müsste es doch mehr um andere Kompetenzen gehen – gerade vor dem Hintergrund der 4 K, die du vorhin angesprochen hast. Lernen ohne KI meint für mich gar nicht so sehr, dass KI und digitale Medien komplett auszuschließen sind. Vielmehr geht es mir um Formate, die sinnerfülltes Handeln ermöglichen und in der physischen Realität stattfinden bzw. in diese hineinwirken.

Wollen wir versuchen, ein Fazit zu ziehen?

Fazit

PB: Mein erstes Fazit ist, dass eine solche Textdiskussion in einem kollaborativen Cloud-Dokument zwischen zwei Lehrern aus verschiedenen Bundesländern, die sich nur über Twitter kennen, für mich eine große Bereicherung war. 

Das eigentliche Fazit soll aber nicht über die Methode der Texterstellung (natürlich ohne KI) gehen, sondern viel mehr über die Chancen und Risiken rund um den Einsatz von KI im Unterricht. Durch deine gut visualisierten fünf KI-Dimensionen des Unterrichtens und die Diskussion über die Bedeutung erhält man einen weiten Blick auf die Möglichkeiten und Herausforderungen. Jede Schule sollte sich z. B. an einem pädagogischen Tag mit dem Thema KI auseinandersetzen und überlegen, wie die fünf Zugänge in das Schulcurriculum integriert werden können. Fortbildungsangebote gibt es inzwischen reichlich. Jetzt kommt es darauf an, dass die Kollegien in den Schulen aktiv werden und handeln.

JF: So ist es. Ergänzen möchte ich noch, dass sich über die Aspekte des Unterrichts hinaus Anknüpfungspunkte an Themenfelder der Schulentwicklung ergeben, z. B. bei der Integration in das schuleigene Medienkonzept, hinsichtlich der Fortbildungsplanung und bei Bearbeitung neuer medienpädagogischer Herausforderungen. Hier sind Schulen ebenfalls aufgefordert, künstliche Intelligenz als Aufgabe und gleichzeitig als Feld neuer Potenzial anzugehen.

Und ja, für mich war unser Austausch ebenfalls bereichernd! Ich danke dir für das Gespräch!

Literatur

Emily M. Bender, Timnit Gebru, Angelina McMillan-Major, and Shmargaret Shmitchell (2021): On the Dangers of Stochastic Parrots: Can Language Models Be Too Big? 🦜 In Proceedings of the 2021 ACM Conference on Fairness, Accountability, and Transparency (FAccT ’21). Association for Computing Machinery, New York, NY, USA, 610623. URL: https://doi.org/10.1145/3442188.3445922

Dr. Patrick Bronner erhielt für den kompetenzorientierten Einsatz von Smartphones im Klassenzimmer den Deutschen Lehrerpreis 2016. Er unterrichtet die Fächer Mathematik und Physik an einem Freiburger Gymnasium, ist Fachberater für Unterrichtsentwicklung und bildet Referendar*innen aus.

Mehr Informationen unter https://www.patrickbronner.de

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Joscha Falck ist Mittelschullehrer und Schulentwicklungsmoderator in Mittelfranken. Darüber hinaus ist er als Fortbildner, Referent und Autor tätig. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind: Digitale Medien, Schul- und Unterrichtsentwicklung, Didaktik des digital gestützten Unterrichtens, Künstliche Intelligenz in der Schule. Kontakt: www.joschafalck.de

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