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Prüfungsaufgaben mit Künstlicher Intelligenz

KI bringt traditionelle Prüfungsformen in Bedrängnis. Zugleich bietet sie Chancen zur Weiterentwicklung der Bewertungsformen. Wie kann über, mit, von, trotz und ohne KI geprüft werden? Ansätze und Ideen für den Aufbruch in eine neue Prüfungskultur.
Joscha-Falk
Von

Joscha Falck

Joscha Falck ist Mittelschullehrer und Schulentwicklungsmoderator in Mittelfranken. Darüber hinaus ist er als Fortbildner, Referent und Autor tätig. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind: Digitale Medien, Schul- und Unterrichtsentwicklung, Didaktik des digital gestützten Unterrichtens, Künstliche Intelligenz in der Schule. Kontakt: www.joschafalck.de

Schon kurz nach der Veröffentlichung von ChatGPT 3.5 waren Stimmen zu vernehmen, die eine neue Aufgaben- und Prüfungskultur in der Schule forderten – nicht zuletzt, weil Schülerinnen und Schüler klassische (Haus-) Aufgaben nun per Sprachmodell generieren lassen können. Wenig später wurde vermeldet, dass ChatGPT auch komplexe Abschlussprüfungen wie das bayerische Abitur mit Leichtigkeit bestehen könne[1]. Beides macht deutlich, dass schulische Veränderungen angesichts einer mehr und mehr KI-geprägten Welt zwingend sind. Wegsehen und ignorieren sind keine guten Optionen, zumindest nicht für Schulen, die ihren Bildungsauftrag in der digitalen Welt[2] ernst nehmen.

Vor allem in Bezug auf Prüfungen ist aus verschiedenen Gründen wenig passiert. Dazu zählt grundlegend, dass die meisten Schulen (noch) keinen datenschutzkonformen Zugang zu einer generativen Text-KI zur Verfügung stellen können[3]. Aber auch die rechtssichere Weiterentwicklung von Prüfungssituationen ist leichter gefordert als umgesetzt. Hinzu kommt, dass es schlicht (noch) an Ideen und Erfahrungswerten mangelt, wie genau eine solche neue Prüfungskultur aussehen kann. Und dass vor der Veränderung der Prüfung zunächst auch die Aufgabenkultur im Unterricht angepackt werden muss. Und dass dieser Schritt voraussetzt, dass Lehrkräfte KI-Tools bedienen und deren didaktische Potenziale umreißen und fachdidaktisch ausleuchten können.

Nun könnte man den ersten Appell-Reflexen entgegnen, dass sie den zweiten Schritt vor dem ersten forderten. Nachdem aber auch schon einige Zeit und viele Fortbildungen vergangen sind, lässt sich konstatieren, dass die Zeit vielleicht erst jetzt reif ist. Packen wir es also an.

Zusammen mit Hendrik Haverkamp, dem Co-Entwickler des KI-Feedback-Tools Fiete, habe ich anlässlich eines Vortrags überlegt, welche Dimensionen zum Themenfeld „Prüfen und KI“ gehören. Herausgekommen sind fünf Felder, die deutlich machen, dass es nicht mit einzelnen Aufgaben getan ist. Vielmehr sollten sich Schulen, die ihre Prüfungskultur vor dem Hintergrund von Künstlicher Intelligenz reflektieren möchten, bewusst machen, dass weitreichende Schritte in verschiedene Richtungen erforderlich sind. Präzise ausgedrückt geht es um das geprüft werden über, mit, von, trotz und ohne KI.

Ausgehend von der Prämisse, dass die schulische Prüfungskultur ein Update benötigt, sollen diese Felder im Folgenden überblicksartig ausformuliert werden.

[1]
https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/chatgpt-ki-besteht-bayerisches-abitur-mit-bravour,TfB3QBw

[2]
Mit dem Schaubild „Lernen und KI“ habe ich den schulischen Bildungsauftrag in Bezug auf Künstliche Intelligenz bereits an anderer Stelle diskutiert. Der Beitrag findet sich hier.

[3]
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, KI-Tools datenschutzkonform zur Verfügung zu stellen. Hier  findet sich ein grundlegender Beitrag zum Thema Datenschutz und KI, von Hauke Pölert.

Geprüft werden trotz und ohne KI

Die unteren beiden Bereiche der Grafik sind schnell zu umreißen. Sie machen deutlich, dass Schule aufgrund ihrer sog. Allokationsfunktion (Zuweisung zu gesellschaftlichen Positionen über die Vergabe von Bewertungen und Zertifikaten, vgl. Fend 2008) Prüfungen zu organisieren hat und sich an dieser Tatsache auch durch die LargeLanguageModell-Revolution erstmal nichts ändert. Dazu zählen standardisierte Prüfungen ebenso wie hilfsmittelfreie Prüfungen bzw. solche, in denen per Vorgabe in Prüfungsordnungen bestimmte Hilfsmittel erlaubt sind. Viele klassische Formate der Leistungsüberprüfung müssten erstmal nicht geändert werden, weil sich z. B. durch Aufsicht sicherstellen lässt, dass Schüler*innen keinen Zugriff auf KI-Tools haben. Und auch wenn KI-Tools in gängige Betriebssysteme und Office-Programme integriert worden sind, könnten Papier-Prüfungen den KI-Hilfsmitteleinsatz verhindern.

Da man allerdings davon ausgehen kann, dass derartige Prüfungen nicht den modernen und kompetenzorientierten Unterricht fördern, der den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts gerecht wird, ist dieser Weg letztlich eine Sackgasse. Stattdessen gehören klassische Prüfungsformate in vielerlei Hinsicht auf den Prüfstand. Die Orientierung an Kompetenzen, sich verändernde Inhalte und ein neuer Umgang mit Wissen in der Informationsgesellschaft machen eine stetige Anpassung notwendig. Eine solche Anpassung erleben wir beispielsweise an Universitäten, die anstelle von schriftlichen Arbeiten mündliche Verteidigungsgespräche führen lassen. Das stellt streng genommen keine Weiterentwicklung der Prüfung dar, macht aber deutlich, dass erste – aus der Not geborene – Ausweichreflexe in Richtung einer stärkeren Betonung der mündlichen Präsenzprüfung bereits zu beobachten sind.

Geprüft werden über KI

Weiterentwicklungen, die der Verfügbarkeit von Künstlicher Intelligenz konstruktiv begegnen, werden hingegen sichtbar, wenn sich nicht nur die Form der Prüfung verändert, sondern auch neue Inhalte als Lerngegenstand geprüft werden, z.B. über Künstliche Intelligenz. Das können technische Aspekte zur Programmierung, zu Algorithmen und zum maschinellen Lernen sein. Sie gehören als Fachinhalt zum Fach Informatik, andere Aspekte wie gesellschaftlich-kulturelle Auswirkungen in den Politikunterricht und ethische Fragestellungen zum Fach Ethik. Ergänzend können explizit KI-generierte Inhalte in die jeweilige Prüfung integriert und von Schüler*innen analysiert werden. So werden nicht nur fachliche Kompetenzen geprüft, sondern der Blick auch auf Reflexions-, Bewertungs- und Beurteilungskompetenzen gerichtet. Darüber hinaus gehören auch Nutzungsaspekte und Kompetenzen im Bereich der Promptformulierung in diese Dimension.

Beispiel:
Prüfen und bewerten eines KI-generierten Inhalts am Beispiel einer Redeanalyse

Mögliche Aufgabenstellung:

Die folgende Rede wurde von einer Politikerin anlässlich einer Literaturpreisvergabe gehalten. Die Rede wurde jedoch von ChatGPT generiert. Analysiere den formalen Aufbau der Rede und deren sprachliche Gestaltung. Lege anschließend dar, wie die Rede auf dich wirkt und ob du sie gelungen findest oder nicht. Beziehe in deine Überlegungen mit ein, wie man die Rede besser hätte gestalten können.

Beispiel:
Rekonstruktion der Prompteingabe anhand eines KI-generierten Inhalts.

Mögliche Ergänzung:

Rekonstruiere einen möglichen Prompt, der zur Ausgabe dieser Rede geführt haben könnte. Berücksichtige dabei die inhaltlichen Schwerpunkte der Rede. Notiere zwei weitere geeignete Prompts, mit denen die Rede zielführend überarbeitet werden könnte.

Die Integration KI-generierter Inhalte sollte jedoch nicht dazu führen, dass hauptsächlich oder ausschließlich Bedienkompetenzen im Vordergrund stehen. Derartige Aufgabenstellungen haben aufgrund des Fachbezugs eine Berechtigung in Informatik, sollten aber in anderen Fächern entsprechend angepasst und erweitert werden. In Deutsch, Biologie oder Französisch wird es nämlich dann interessant, wenn die Verwendung von KI-Tools in der Prüfung dazu führt, dass Lernende fachliche Kompetenzen auf besonders anspruchsvolle und/oder vielfältige Art anwenden müssen.

Geprüft werden mit und von KI

Im Unterschied zum Geprüft werden über KI geht es in den beiden noch ausstehenden Feldern um die Anwendung. Das Geprüft werden mit KI impliziert die aktive Nutzung generativer KI-Systeme durch Schülerinnen und Schüler, das Geprüft werden von KI Prozessbegleitung und/oder automatisierte Formen der Bewertung. In beiden Fällen ist KI-Technologie Teil der Prüfung, nicht nur ein KI-generierter Inhalt.

Eine Möglichkeit besteht darin, Lernenden während der Prüfung einen KI-Tutor zur Seite zu stellen und dessen Nutzung in der Aufgabe einzufordern. Die Teilaspekte können dabei sehr kleinschrittig und spezifisch sein und die Schüler*innen anleiten, den Chatbot zu einem bestimmten Inhalt und mit bestimmten Prompts einzusetzen. Künstliche Intelligenz wird so zum Aufgabenbewältigungspartner, abgeprüft werden inhaltliche Aspekte sowie Nutzungs-, Bewertungs- und Reflexionskompetenzen im Umgang mit der KI.

Beispiel:
KI-Vorschläge anfordern, reflektieren und bewerten

Mögliche Aufgabenstellung:

Lass dir zur Bearbeitung der Programmieraufgabe (z.B. Erstellung eines Spiels mit Scratch) von deiner KI-Assistenz drei unterschiedliche Lösungswege vorschlagen. Reflektiere diese, inwiefern sie zur Aufgabenstellung passen und ob sie für dich umsetzbar sind. Entscheide dich für einen der Vorschläge und begründe deine Entscheidung. Setze die Spielidee anschließend bei Scratch um.

Beispiel:
KI-Ergebnisse teilweise übernehmen, teilweise überarbeiten

Mögliche Aufgabenstellung:

Schreibe eine Stellungnahme zum Thema Handynutzung am Gymnasium x für die Schülerzeitung. Berücksichtige dabei die individuellen Gegebenheiten unserer Schule. Lass dir dazu einen ersten Entwurf von deiner KI-Assistenz erstellen. Entscheide dich, welche Teile du übernehmen möchtest und welche du lieber selbst schreibst bzw. entsprechend überarbeitest. Schreibe deine Stellungnahme anschließend in einem ko-kreativen Prozess mit der KI-Assistenz. Solltest du Textpassagen vollständig übernehmen, musst du diese kennzeichnen. Reflektiere am Ende deines Schreibprozesses, wie die Zusammenarbeit mit dem KI-System gelungen ist. Belege deine Gedanken anhand zweier Beispiele aus deinem finalen Text.

Beispiel:
Fiktive Dialoge mit KI in Verbindung mit Fachinhalten

Mögliche Aufgabenstellung:

Ermittle die Merkmale des epischen Theaters in einem fiktiven Gespräch mit der KI. Versetze die KI-Assistenz dazu mit einem geeigneten Prompt in die Rolle von Bertolt Brecht. Bringe darüber hinaus in Erfahrung, was sich Brecht von dieser Form des Theaters versprach und welche Erfahrungen er damit gemacht hat. Stelle die zentralen Ergebnisse deines Interviews anschließend zusammen und reflektiere deine Vorgehensweise. Vergiss nicht zu prüfen, ob die generierten Antworten des fiktiven Brechts die Fakten korrekt wiedergeben.

Beispiel:
Beispiel: Fachbezogene Prompts schreiben als Prüfungsaufgabe

Mögliche Aufgabenstellung:

Verfasse einen mehrstufigen Prompt, mit dem du dir Feedback von der KI-Assistenz zu deiner Gedichtanalyse einholen möchtest. Berücksichtige dabei verschiedene Kriterien, die für die inhaltliche Qualität deiner Analyse relevant sind. Beziehe darüber hinaus Kriterien in deinen Prompt mit ein, anhand derer die KI-Assistenz auch auf sprachliche und rechtschriftliche Aspekte achtet. Teste deinen Feedback-Prompt anschließend und reflektiere, wie dir der Aufbau gelungen ist.

KI zur Verbesserung eigener Texte einsetzen

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, KI-Feedback in die Prüfung zu integrieren, um Lernende zur bewussten Überarbeitung eigener Ergebnisse aufzufordern. In diesem Kontext habe ich erste Versuche mit Fiete in einer Deutsch-Klassenarbeit gestartet. Die Schüler*innen konnten Fiete beim Schreiben einer Inhaltsangabe zu einer Kurzgeschichte verwenden, mussten aber auch nachweisen und begründen, an welchen Stellen ihr Text durch das Feedback besser wurde. Hier zeigte sich für mich eindeutig, dass durch die Verfügbarkeit von KI-Feedback in der Prüfungssituation erweiterte Kompetenzen abgeprüft werden können (Reflexions- und Überarbeitungskompetenz). Der Erfahrungsbericht kann hier nachgelesen werden.

Die Beispiele setzen auf den Einsatz von KI-Technologie in der Prüfung, um eine erweiterte Kompetenzorientierung zu ermöglichen. Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass sich neben den Ansprüchen an die Lernenden auch der Korrekturaufwand für Lehrkräfte erhöht. Derartige Aufgabenstellungen lassen sich nur bedingt in Richtig/Falsch-Kategorien bewerten. Vielmehr braucht es ausgearbeitete Bewertungsraster und einen individuellen Blick auf die Gedanken der Schüler*innen. Diese (notwendige) Vertiefung ist neben dem Verständnis und der Entwicklung von Aufgaben ein weiteres Schlüsselthema einer neuen Prüfungskultur. Gleichwohl soll es in diesem Überblicksartikel bewusst ausgelassen und an anderer Stelle fortgesetzt werden.

Automatisierte Formen der Bewertung

Als letzte Möglichkeit dieser Dimensionen soll auf automatisierte Formen der Bewertung eingegangen werden. Für dieses Geprüft werden durch KI reicht ein bereitgestellter Chatbot nicht aus. Vielmehr ist es erforderlich, spezielle Software für das Automated Essay Scoring (AES) in die Prüfung zu integrieren. Systeme zur KI-gestützten Aufsatzbewertung sind z. B. Turnitin, e-rater, Intellimetric oder PegWriting, die jedoch im deutschen Sprachraum deutlich weniger verbreitet sind als etwa in den USA. Darüber hinaus werden die sogenannten AES-Tools eher im Hochschulbereich eingesetzt als in allgemeinbildenden Schulen. In den nächsten Jahren ist aber davon auszugehen, dass derartige Systeme auch vermehrt Eingang in die deutsche Schullandschaft finden und/oder bereits etablierte adaptive Lernsysteme Prüfungsmodi für Schüler*innen entwickeln. Inwiefern generative Text-KI-Systeme in der Lage sein werden, Schüler*innentexte zu bewerten, wird noch abzuwarten sein.

Im Unterschied zu Prüfungsaufgaben mit einer KI-Assistenz oder Aufgabenstellungen zu KI-generierten Inhalten sind AES-Systeme problematischer und deshalb umstritten. Jenseits des Versprechens zur Entlastung von Lehrkräften würden sie nämlich massiv in die schulische Prüfungstradition eingreifen. Zum einen bewerten AES-Tools rein kriterienorientiert – es fehlt ihnen am individuellen Bezug zu Lernenden. Das heißt, dass bspw. ein pädagogischer Ermessensspielraum nicht adäquat abgebildet werden kann. Zum anderen werden personenbezogene und sensible Daten über die Leistung von Schüler*innen gesammelt, was Aspekte des Datenschutzes auf den Plan ruft. Und nicht zuletzt darf in Zweifel gezogen werden, ob KI-Systeme überhaupt (schon) in der Lage sind, Schüler*innen-Arbeiten angemessen, gerecht und im Zweifel auch rechtssicher zu bewerten (vgl. auch Zweig 2023).

Orientierung an (neuen) Kompetenzen

Unabhängig dieser Diskussion beschreiben die fünf skizzierten Dimensionen Bereiche, an denen die schulbezogene Prüfungskultur KI-Technologie berührt oder zukünftig berühren könnte. Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, machen die dargestellten Beispiele deutlich, dass es dabei nicht um Spielerei geht. Vielmehr geht es darum, Formen der erweiterten Kompetenzorientierung in (Prüfungs-) Aufgaben abzubilden und Schlüsselkompetenzen der sich wandelnden Informationsgesellschaft aufzunehmen.

Aus meiner Sicht ist es deshalb unerlässlich, geeignete Aufgaben- und Prüfungsformate zu entwickeln und diese einem Praxistest zu unterziehen. Gerade mit Blick auf die KI-integrierenden Prüfungen muss der Erfahrungsschatz nach und nach aufgebaut werden. Insofern die Erfahrungen öffentlich geteilt werden, können auch andere Kolleg*innen davon profitieren.

Interessant ist, dass die Notwendigkeit zur Veränderung der schulischen Prüfungskultur auch von den Lernenden selbst gesehen wird. So zeigt die repräsentative Studie „Pioniere des Wandels“ der Vodafone Stiftung etwa, dass 59% der befragten Jugendlichen mehr Anwendungs- und Problemlösekompetenzen in Prüfungen getestet haben wollen, weil sie sich um die Unterscheidbarkeit zwischen eigener Leistung und der von KI-Systemen sorgen. 52% wünschen sich mehr Binnendifferenzierung in Prüfungen und 46% geben an, dass Prüfungen vermehrt auf kritisches Denken und die Fähigkeit zur Lösung komplexer Probleme hin ausgerichtet sein sollen. Es geben allerdings nur 21% an, dass KI-Systeme in Prüfungen erlaubt sein sollen, was möglicherweise auf einen Mangel an Erfahrungen mit geeigneten Aufgaben hindeuten könnte.

Zudem setzt sich auch das Expert*innengremium der ständischen wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) für eine veränderte Prüfungskultur ein, in der Schüler*innen koaktiv mit der KI zusammenarbeiten und so ganz neue Kompetenzen nachweisen können (z.B. Promptkompetenzen). Im SWK-Paper „Large Language Models und ihre Potenziale im Bildungssystem“ heißt es:

„Da eine versierte Koaktivität mit LLM eine wichtige Zukunftskompetenz darstellen wird, müssen in den Fächern Prüfungsformate entwickelt werden, in denen Lernende diese Kompetenz unter Beweis stellen können und Aufgaben bereitgestellt werden, die sie darauf vorbereiten. Solche Aufgabenformate könnten projektartig und prozessorientiert angelegt und besondere Anforderungen an das Prompting oder die kritische Reflexion des LLM-Outputs stellen. Sofern dies technisch und datenschutzrechtlich möglich ist, bietet sich z. B. für die Beurteilung der Bearbeitung solcher Aufgaben eine Auswertung der Chatverläufe an.“

Prozessorientierte Prüfungen und alternative Prüfungsformate

Die Aussage der SWK macht deutlich, dass auch sogenannte alternative und prozessorientierte Prüfungsformate wie Portfolioarbeiten, Projekte, Erklärfilme oder OpenBook-Klausuren um KI-Technologie angereichert werden können. Auch hier sind Lehrkräfte gefordert, unbekanntes Terrain auszuloten. Ein bereitgestellter Chatbot kann z. B. bei der Planung, Strukturierung und Durchführung einer Projektaufgabe ebenso behilflich sein wie DeepL Write dabei unterstützt, eine PowerPoint-Präsentation am Ende einer Portfolio-Arbeit auf sprachliche und rechtschriftliche Fehler zu korrigieren. Es ist jedoch darauf zu achten, die Fähigkeiten zu koaktiven Nutzung von KI-Systemen bzw. das Methodenwissen, wann welches Tool nützlich sein könnte, nicht vorauszusetzen. Diese sind, ebenso wie fachliche Kompetenzen, im Unterricht anzubahnen und zu trainieren. Geschieht dies nicht, kann der Einsatz von KI in Prüfungssituationen dazu führen, leistungsschwächere Schüler*innen doppelt zu benachteiligen.

Im Kern geht es bei der Entwicklung einer neuen Prüfungskultur darum, an den individuellen Lernständen und Stärken der Kinder und Jugendlichen anzusetzen. Prüfungsaufgaben sollten neben fachlichem Wissen insbesondere das kritische Denken und die Problemlösefähigkeiten adressieren. Das Prüfen des Lernstandes sollte aber auch schon während des Lernprozesses ermöglicht werden (formative assessment), sodass Schüler*innen die entsprechende Rückmeldung nutzen können, um eigene Lernwege anzupassen. Das bloße Auswendiglernen für einen summativen Test oder das musterhafte Ausfüllen von Klausurbögen, um den Erwartungshorizont der Lehrkraft möglichst nahe zu kommen, sollte der Vergangenheit angehören.

Ansätze zur Entwicklung einer neuen Prüfungskultur

Die Entwicklung einer neuen Aufgaben- und Prüfungskultur, die nun auch noch KI-Technologie integriert, erfordert von Lehrkräften einiges ab. Sie müssen um die entsprechenden Tools wissen, deren Einsatz didaktisch reflektieren und neue Formate entwickeln und erproben. Das setzt Interesse und eine hohe Bereitschaft an individueller Fortbildung voraus. Grundlegend dafür sind Neugier und eine potenzialsuchende Haltung der Offenheit gegenüber transformativen Technologien. Lehrkräfte, die sich auf derartige Pfade einlassen, brauchen zudem Vertrauen in ihr pädagogisches Gespür, das sich dem Hype des Neuen manchmal auch entgegenstellen muss. Und sie benötigen den Rückhalt ihrer Kolleg*innen, Fachschaften und Schulleitungen, um die Risiken neuer Wege auf sich zu nehmen.

Ein geeignetes Instrument für die praktische Entwicklung von Aufgaben für Unterricht und Prüfung ist die Reflexionsspinne zur Entwicklung neuer Formate vom Institut für zeitgemäße Prüfungskultur. Deren Schieberegler ermöglichen die Feinabstimmung zwischen Raum, Zeit, Material, Aufgabe, Hilfsmittel, Sozialform, Produkt und Feedback. Durch die Visualisierung weiterer Flächen innerhalb des Netzdiagramms werden die erweiterten Handlungsmöglichkeiten bei Prüfungen deutlich. Zu diskutieren wäre, ob Künstliche Intelligenz entweder als eigene Dimension aufgenommen werden muss oder ob KI als optionaler Bestandteil von Material (KI-generierte Inhalte), Hilfsmittel (KI-Assistenz-Systeme), und Feedback (aktiv angefordert per Prompt oder mithilfe eines KI-Feedback-Tools) aktiviert werden kann. Ich würde, ähnlich wie es Christian Haake in einem Text über die Aufgabengestaltung mit KI thematisiert (ders. 2024), die letztere Variante favorisieren. Allerdings schwebt mir vor, dass KI-Optionen hier nicht mit aufgelistet sind, sondern „zugeschaltet“ werden können (vgl. Abbildung).

Die Aufgaben, die hier skizziert wurden, sind als Prototypen einer kompetenzorientierten Aufgaben- und Prüfungskultur mit KI zu begreifen. Sie können und sollen auf weitere Fächer und Fachbereiche, andere Kompetenzen und verschiedene Schwierigkeitsstufen übertragen werden. Und sie können in ihren Ansätzen auf mündliche Prüfungen, Referate oder Facharbeiten angewandt werden. Dazu braucht es neben der Experimentierfreude pädagogisch-didaktische Erfahrung und ein gutes Gespür dafür, wo und in welcher Form derartigen Aufgabenstellungen überhaupt sinnvoll sind. Und es muss im Sinne der beschriebenen Schritt-für-Schritt-Entwicklung auch nicht gleich alles auf einmal sein. Zusätzliche und ergänzende KI-bezogene Aufgaben in Prüfungen können den Wandel einläuten und wirken gleichzeitig auf die Unterrichtskultur zurück, in der Anwendung und neue Schlüsselkompetenzen im Umgang mit KI-Systemen eine größere Rolle einnehmen.

Der Aufbruch als Chance

Ohne Frage stehen Schulen und Lehrkräfte in Bezug auf Künstliche Intelligenz vor großen Herausforderungen. Ich denke aber, dass wir die Not, uns in Bezug auf Aufgaben und Prüfungen verhalten zu müssen, in einen Gestaltungsauftrag umdeuten sollten. Dazu ist mir unlängst ein schönes Bild begegnet, das ich ans Ende dieses Textes stellen möchte: Anfang 2024 war ich als Referent zu einem pädagogischen Tag eingeladen, der mit einer Andacht begann. Der Kollege, der die Einstimmung gestaltete, sprach im Kontext von Künstlicher Intelligenz über Brücken, über die man gehen muss, um festzustellen, ob sie tragen oder einstürzen. Dieser Vergleich scheint mir auch auf das Thema Prüfungskultur mit KI übertragbar. Manchmal werden wir eine Brücke betreten, deren Tragfähigkeit angezweifelt werden muss. An anderer Stelle werden wir jedoch sicher an die andere Seite gelangen und einen neuen Weg entdeckt haben. In diesem Sinne plädiere ich dafür, den Aufbruch als Chance zu begreifen und mit dessen kritisch-konstruktiver Gestaltung zu beginnen.

Literatur und Links zum Weiterlesen:

Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Bewertung von Lernprozessen. URL: https://www.km.bayern.de/schule-digital/orientierungsrahmen-ki-und-schule/kuenstliche-intelligenz-und-pruefungskultur.html

Brill, S. (2024): Aufgaben- und Prüfungskultur im Zeitalter von KI. URL: https://www.linkedin.com/pulse/aufgaben-und-prüfungskultur-im-zeitalter-von-ki-steffen-brill-7rxre/?originalSubdomain=de

Fend, H. (2008): Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Haake, C. (2024): Gestaltung von Aufgaben (in Zeiten von KI). URL: https://haak3.de/2024/03/artikel/gestaltung-von-aufgaben-in-zeiten-von-ki-2/

Kuhn, A. (2023): Neue Prüfungsformate. „Das musterhafte Auswendiglernen und Abfragen ist nicht sinnstiftend“. URL: https://deutsches-schulportal.de/unterricht/neue-pruefungsformate-institut-fuer-zeitgemaesse-pruefungskultur/

Nölte, B. (2023): Zeitgemäße Prüfungskultur – Welche Unterstützung bietet KI? Videoaufzeichnung für das Deutsche Schulportal. URL: https://deutsches-schulportal.de/unterricht/video-zeitgemaesse-pruefungskultur-welche-unterstuetzung-bietet-ki/

Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) (2023): Large Language Models und ihre Potenziale im Bildungssystem. Impulspapier der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz. URL: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/KMK/SWK/2024/SWK-2024-Impulspapier_LargeLanguageModels.pdf

Vodafone Stiftung Deutschland gGmbH (2024): Pioniere des Wandels. Wie Schüler:innen KI im Unterricht nutzen möchten. URL: https://www.vodafone-stiftung.de/wp-content/uploads/2024/03/Pioniere-des-Wandels-wie-Schueler-innen-KI-im-Unterricht-nutzen-wollen-Jugendstudie-der-VS-2024.pdf

Zweig, K. (2023): Die KI war´s! Von absurd bis tödlich: Die Tücken der künstlichen Intelligenz. Heyne Verlag.

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Joscha Falck

Joscha Falck ist Mittelschullehrer und Schulentwicklungsmoderator in Mittelfranken. Darüber hinaus ist er als Fortbildner, Referent und Autor tätig. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind: Digitale Medien, Schul- und Unterrichtsentwicklung, Didaktik des digital gestützten Unterrichtens, Künstliche Intelligenz in der Schule. Kontakt: www.joschafalck.de

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