Die Green Gesamtschule – eine Schule der Vielfalt:
Das Recht eines Menschen, sich in seiner Andersartigkeit wertgeschätzt zu wissen, ist für uns unantastbar. Wie wir Vielfalt begreifen, zeigt sich vielleicht am besten anhand der folgenden Aussage, die Einlass in unser »Vielfaltkonzept« fand: Wir wenden uns gegen jegliche Art der »Kästchenbildung«, denn diese wirkt nicht integrativ, sondern abschottend, trennend, segregierend und stigmatisierend. Sie führt mithin auch kaum zu Akzeptanz, sondern allenfalls zu Toleranz.
Toleranz bedeutet aber […] nur, widerwillig die Existenz von dem, was wir aus vollem Herzen ablehnen, zu dulden. Wollen wir darüber hinauskommen, müssen wir lernen, das Widersprüchliche, das Vage, das Vieldeutige, das Nichtzuzuordnende, das Nichtklärbare als den Normalfall der menschlichen Existenz hinzunehmen, es mindestens zu achten, vielleicht sogar zu lieben.Thomas Bauer: Die Vereindeutigung der Welt: Über den Verlust an Mehrdeutigkeit, Reclam Verlag, Stuttgart 2018.
Wir diskutieren über diesen Ansatz in der Schule sehr wenig kontrovers, weil er für uns klar, eindeutig und – wenn man so will – auch schön ist. Er ist eine ästhetische Grundhaltung, die vollständig durch unser Kollegium getragen wird und zu unserer Haltung an der Schule passt.
Bildungsperspektiven durch Kooperation – Kooperatives Lernen an der Green Gesamtschule
Seit unserer Gründung setzen wir an der Green Gesamtschule auf das Kooperative Lernen. Das bedeutet, dass unsere SchülerInnen von Beginn an in festen kooperativen Kleingruppen lernen. Das Lernarrangement in jeder Lerngruppe ist darauf ausgerichtet, dass die SchülerInnen ihre individuellen Stärken und Fähigkeiten in die Gruppenarbeit einbringen, um sich gegenseitig zu ergänzen. Dabei übernehmen die SchülerInnen in den Tischgruppen unterschiedliche Aufgaben, die für ein erfolgreiches Gruppenarbeitsergebnis ausschlaggebend sind. So entsteht eine positive Abhängigkeit, die gewährleistet, dass sich alle SchülerInnen einer Tischgruppe aktiv in den Unterricht einbringen. Der Unterricht ist in Einzel-, PartnerInnen- und Gruppenarbeitsphasen strukturiert, die Präsentation und Diskussion von Arbeitsergebnissen fußt damit immer auf einer individuellen Auseinandersetzung und einem konstruktiven Austausch in der Kleingruppe. Unsere SchülerInnen lernen so von- und miteinander und entwickeln ein positives Selbstkonzept, das ihre Bildungsbiografie deutlich positiv beeinflusst.
Vielfalt pflegen – den Kindern Raum und Zeit zur Kooperation geben
Durch das Kooperative Lernen, die Kooperation der KollegInnen, die anhaltende Kommunikation können wir den KollegInnen zahlreiche Ängste, wie sie vielfach in Schule zum Thema »Inklusion« geäußert werden, nehmen. Dabei spiegeln wir den KollegInnen, dass es kaum einen besseren Ansatz zum Umgang mit Vielfalt geben kann, als den Kindern Raum und Zeit zur Kooperation zu geben. Die Arbeit in der Gruppe zeigt die Vielfalt. Dabei hilft das Kennenlernen des anderen, Vielfalt in einem ersten Schritt mindestens konstruktiv auszuhalten und mehr und mehr als Schatz zu begreifen. Die Präsentation der Arbeitsergebnisse fördert die Freude an mehrperspektivischen Betrachtungsweisen und an Ergebnissen, die vorher gar nicht absehbar waren. Durch dieses Unterrichtssetting findet Vielfalt ihren Weg in den Unterricht:
In den Tischgruppen übersetzen SchülerInnen und helfen bei Aufgabenstellungen – ihre Mehrsprachigkeit wird wertgeschätzt. Durch das Lernen in den Tischgruppen entsteht für die SchülerInnen, die erklären und erklärt bekommen eine Win-Win-Situation (1). Das reciprocal teaching der SchülerInnen, also das Lernen und Lehren in den Tischgruppen, ist für uns die entscheidende Art der Differenzierung im Umgang mit den unterschiedlichen Lernniveaus. Die Lebensrealität der SchülerInnen und ihre Erfahrungen (2) sind Thema in den Tischgruppengesprächen. Dort entsteht im ersten Schritt eine Intimität, die für eine gute Zusammenarbeit unabdingbar ist. Sollten doch einmal rassistische Tendenzen wahrgenommen werden, so reagieren wir unverzüglich – kurzfristig durch eine klare Haltung – mittel- und langfristig durch unseren Bildungsansatz, der sich durch eine gute Streitkultur und gegenseitigen Respekt auszeichnet.
Die Schule hat an dem Fortbildungsprojekt »Vielfalt fördern« teilgenommen. Im Umgang mit Vielfalt ist uns vor allem der Perspektivwechsel wichtig. Diesen üben wir in den Klassen systematisch durch die »Akademische Kontroverse« / »Strukturierte Debatte« ein. Hierzu haben wir Unterrichtsentwürfe auf IQES online veröffentlicht. Dazu gibt es in der Schulgemeinde klare Verabredungen.
Wenn Menschen zusammenkommen, gibt es Auseinandersetzungen – ganz gleich, woher die Menschen stammen und welche Erfahrungen sie mitbringen. Wir haben keine Angst vor Streit, sondern definieren diesen als Grundlage für Veränderungsprozesse. Der kultiviert geführte, argumentativ gut aufgebaute Streit, der zudem die ihm zugrundeliegenden Emotionen offenlegt, ist der Nährboden für den demokratischen Diskurs. (3)
(1) Vgl. Hierzu: Spitzer: Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. 2002, S.293 ff.
(2) Viele Kinder sind an der Hand der Eltern 3500 Kilometer auf dem Landweg aus Kriegsgebieten zu uns gekommen oder sind glücklicherweise nicht im Mittelmeer ertrunken. Sie sind oftmals traumatisiert. Wir benutzen den Begriff »Flüchtlinge« explizit nicht. Wir sprechen von Menschen, die aufgrund von Krieg, Armut und Vertreibung bei uns sind. Sprache will in unserer heutigen Zeit sorgsam benutzt sein.
(3) Zur Bedeutung der Herausbildung einer demokratischen Gepflogenheit folgenden »Streitkultur« sei an dieser Stelle auf das wunderbare Buch »Deutschland auf der Couch« von Stefan Grünewald, Frankfurt 2006 verwiesen. In dem Buch unternimmt der Autor einen Streifzug durch die bundesrepublikanische, geschundene Psyche. Die für ihre »Heilung« notwendige Medizin findet der Autor interessanterweise in der Helene Lange Schule in Wiesbaden.